Kriterien für (akutpsychiatrische) Stationen mit integrierten Soteria-Elementen

Definiert von Verena Bonnet/ ZSP Mittlere Lahn / Gießen und Wielant Machleidt/ MHH Hannover

Ziel ist die Umsetzung des Soteria-Gedankens im Alltag einer allgemeinpsychiatrischen Akut-Station. Dabei ist die Entwicklung einer dem Soteria-Konzept entsprechenden therapeutischen Haltung im multiprofessionellen Team das Kernelement, das den Kontakt zu PatientInnen und Angehörigen entscheidend prägt. Die formulierten Kriterien verstehen wir als Leitlinien, an deren Umsetzung es kontinuierlich zu arbeiten gilt.

1. Therapeutische Rahmenbedingungen

– Konzeptuelle und personelle Kontinuität von Behandlungsbeginn bis zur Entlassung

– Behandlung im multiprofessionellen Team mit gemeinsamer Fallbesprechung

– Behandlerkonstanz bei Wiederaufnahme

– Bezugstherapeutensystem

– Weiterbehandlung im gemeindepsychiatrischen Versorgungssystem

– Supervision / gemeinsame Fortbildungen im multiprofessionellen Team

2. Therapeutische Grundhaltung

– Ganzheitliches Psychoseverständnis (Die seelische Dimension steht im Vordergrund / Psychose als psychische Extremreaktion im Rahmen einer schweren Krise)

– Zwischenmenschliche Beziehung als primärer Bestandteil der Therapie mit häufigen therapeutischen Kontakten im Stationsalltag

– Dabeisein (Durch den psychotische Zustand begleiten)

– Individualisierung (Der einzelne Mensch mit seinem subjektiven Erleben, seiner Situation und seiner Lebensgeschichte ist im Mittelpunkt / Fallbesprechung als Zusammenschau unter Berücksichtigung der Lebens- & Krankheitsgeschichte möglichst unter Einbeziehung des Patienten)

– Positive Erwartungshaltung (Ein Mensch in einer psychotischen Krise hat grundsätzlich ein Potential zur Wiederherstellung seiner Persönlichkeit und zur Integration der Psychose in seinen Lebenszusammenhang / Anknüpfen an individuellen Ressourcen und Stärken der Eigenverantwortung)

– Akzeptanz der Psychose-Erfahrung (Die Psychose-Erfahrung wird als subjektive Realität des Patienten angenommen, die grundsätzlich bedeutungsvoll und sinnvoll sein kann)

3. Milieutherapeutische Merkmale

– Möglichst geringe Patientenzahl

– Persönliches Milieu (Individuelle räumliche Gestaltung der Station / Das therapeutische Milieu ist durch die zwischenmenschliche Begegnung geprägt)

– Klinische Hierarchie minimiert (Prinzipielle Gleichwertigkeit der Teammitglieder bei unterschiedlichen Funktionen)

– Aufgabenteilung (Mitbestimmung der Patienten bei der Gestaltung des stationären Alltags / Aufgabenteilung unter den Teammitgliedern unterschiedlicher Berufsgruppen/Teilung der Alltagsaufgaben zwischen Teammitgliedern und Patienten)

– Station als Begegnungs-und Kommunikationsraum (Wohnküche, Wohnzimmer, runder Tisch etc.)

– Offene Stationstür

– Kooperation mit Angehörigen (Einbeziehung der Angehörigen in den therapeutischen Prozess (Familienzusammenkünfte / Familiengespräche / Kooperationspartner in der Einzelbetreuung von Patienten in der akuten Krise / Arbeit nach den Kriterien des “Offenen Dialogs”))

4. Therapeutische Interventionen

– Aufnahmekultur (Direkte Aufnahme durch Bezugstherapeuten ohne vorgeschaltete zentrale Aufnahme / An den Bedürfnissen des Patienten orientiertes Aufnahmegespräch bei Bedarf mit Angehörigen in reizarmer störungsfreier Umgebung, gegebenenfalls Getränkeangebot / orientierungsgebende Hilfestellungen / Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung mit Regulierung von Nähe und Distanz)

– Supportive Haltung des Teams (Haltende Umwelt – Präsenz, Halt, Unterstützung, Fürsorge (Holding))

– Empathisches Verstehen einschließlich der psychotischen Symptomatik

– Kontinuierliche Behandlungsplanung gemeinsam mit dem Patienten (für alle Behandlungsschritte und -ziele ein Einverständnis des Patienten erreichen)

– Behutsamer Umgang mit Psychopharmaka (Verhandeln statt behandeln / Alternativen zur medikamentösen Behandlung erörtern und zulassen / Häufige Überprüfung und Dosisanpassung / Nebenwirkungsprofil individuell anpassen / Ziel: selbständiger eigenverantwortlicher Umgang mit Medikamenten)

– Möglichkeit der Begleitung im weichen Zimmer (1: 1 Kontakt bei Bedarf, gegebenenfalls auch durch Angehörige leistbar)

– Biographische Integration der Psychose (Entwicklung eines lebensgeschichtlichen Kontexts für die Krise / Konstruktive Auseinandersetzung mit sich selbst und der Erkrankung)

– Gruppenzusammenkünfte (zur Förderung der Selbstbefähigung / zur Wiederentdeckung von persönlichen Ressourcen / zum Leben und Lernen in der Gemeinschaft / zur Förderung des Austauschs von Psychose-Erfahrungen / zur Regulierung interpersoneller Probleme und Bedürfnisse / zur Förderung von Peergroups)

– Bedürfnisorientierte familiäre Unterstützung (Frühzeitiges und kontinuierliches Einbeziehen des sozialen Umfelds mit Einverständnis des Patienten, beispielsweise im Rahmen des “Offenen Dialogs”)