Soteria-Elemente in der Akutpsychiatrie an den Oberhavel Kliniken im Norden von Berlin (6/22)

Die Akutstation mit Soteria-Elementen (Station 21) der Klinik Hennigsdorf bietet Menschen in psychotischen Krisen zeitlich begrenzt einen geschützten Rahmen. „Soteria ist seit langem etabliert und vielfach wissenschaftlich belegt“, erläutert Priv.-Doz. Dr. med. Maria C. Jockers-Scherübl, Chefärztin der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie. Es war uns wichtig, eine wohnähnliche und reizarme Umgebung zu schaffen, wo Mitarbeiter empathisch unseren Patienten begegnen. Wir bieten milieutherapeutische Gruppen an, die auf das „echte Leben“ vorbereiten wie gemeinsames Kochen oder Backen, Haushaltstraining, aber auch gemeinsames Spielen. Wir halten zudem störungsspezifische, gut evaluierte Therapieprogramme für Menschen mit einer akuten Erkrankung vor. Alle Therapien finden auf der Station statt und werden in den Alltag integriert. „Wir haben unsere Station vor vier Jahren komplett modernisiert und bieten unseren Patienten in der Soteria ein familiäres, angenehmes Umfeld. Hier können sie in dieser schwierigen Phase ihres Lebens erst einmal ankommen und werden mit viel Engagement, Fachwissen und Erfahrung von unserem multiprofessionellem Team aktiv begleitet“, so die Chefärztin. Die Station wurde im Nov. 2018 erstmals von der internationalen Arbeitsgemeinschaft Soteria (IAS) zertifiziert und wir sind besonders stolz, dass wir trotz Corona-Pandemie und allen damit verbundenen Herausforderungen im Nov. 2022 im Rahmen des von den Oberhavel Kliniken ausgerichteten Soteria Symposiums, bei dem Herr Prof. Dr. Luc Ciompi als Ehrengast teilnahm, erneut als Station mit Soteria- Elementen zertifiziert werden konnten. Wir konnten die Wirksamkeit dieser komplexen Intervention statistisch nachweisen und publizieren (Wolf et al., frontiers in psychiatry, 07/2021) und erfreuen uns national und international regelmäßiger Nachfrage. So nahmen wir im Jan. 2022 am „Future of Nursing“ Kongress mit einem Beitrag über unser Stationskonzept teil und wurden ebenfalls von der Zeitschrift „Info in Neurologie und Psychiatrie“ (Ausgabe 02/2022) dazu interviewt. Wir sind zusätzlich im Arbeitskreis zur Prävention von Zwang und Gewalt in der Psychiatrie organisiert und nehmen an der PrevCo – Studie zu den neuen S3- Leitlinien zur Vermeidung von Zwang in der Akutpsychiatrie teil. Wir sind immer wieder positiv überrascht, wie viele konstruktive Impulse das Soteria-Konzept für die Gestaltung einer Akutpsychiatrischen Station bereithält. Dies wird uns bei Fachkongressen wie bspw. dem „Praxisforum Akutpsychiatrie“ in Berlin (04/2022) nur allzu deutlich. Während im „Akutpsychiatrischen Milieu“ komplexe Interventions-Programme wie safewards und STÄB als neue Errungenschaft zur Vermeidung von Zwang in aller Munde sind, kommen wir „Soterianer“ nicht umhin, doch einen entscheidenden Unterschied wahrzunehmen: Die selbstverständliche Begegnung mit dem Patienten in einer reizarmen, wohnähnlichen Umgebung. Eine 1:1 Betreuung ist nun in den neuen S3- Leitlinien zur Vermeidung von Zwang bei hochakuten, nicht mehr steuerungsfähigen Patientinnen verankert, doch hat schon Ciompis 4-Phasen Behandlungsmodell der Soteria zunächst die Begleitung durch ein Bezugspersonensystem vorgesehen und im Verlauf die Integration in eine kleine Gemeinschaft. Im völligem Kontrast dazu stehen Zahlen von stationär behandelten Patienten in der Regelversorgung, die ca. 84% der Zeit ohne professionellen Kontakt verbringen (Radcliffe & Smith, Psychiatry Bulletin 31, 2007). Erfreulicherweise ist im Unterschied zum Soteria-Konzept nach Mosher und Ciompi die Anwendung von Milieutherapie auch in gemischten und akut erkrankten Patientinnengruppen in der Literatur gut beschrieben und belegt (Review von P. Lichtenberg, Psychiatr Q, 04/2011). Wir sind stolz darauf, mit unserer Arbeit an den Oberhavel Kliniken einen Beitrag für eine humanistisch ausgerichtete Psychiatrie auch für schwer erkrankte Patient*innen zu leisten. Im September 2022 ist der nächste Soteria-Fachkongress am ZfP in Reichenau bei Konstanz geplant. Wir freuen uns auf die Teilnahme am Fachaustausch.

Theresa Wolf und Maria Jockers-Scherübel