Psychische Belastung durch Corona – Ergebnisse unserer Online-Umfrage:
Die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen bestimmen weiterhin unseren Alltag. Wie geht es Menschen mit und ohne psychische Vorerkrankung in diesen Zeiten nie dagewesener Einschränkung? Sowohl Menschen mit psychischen Erkrankungen als auch viele KollegInnen und Kollegen fürchten, dass die nun absehbaren Sparzwänge auch dazu führen, dass so manches therapeutisches Spezialangebot alsbald als nicht „systemrelevant“ reduziert oder eingestellt werden könnte, zumal auch die Kliniken in der Hochphase der Krise vielerorts leer blieben.
Wir führten in der Hochphase des ersten Lockdowns zwischen dem 6.4.-1.5.2020 eine kurze Online-Befragung durch, in der wir nach der psychischen Belastung infolge von Corona fragten. Erste Ergebnisse liegen nunmehr vor: Insgesamt konnten 99 Datensätze ausgewertet werden. Teilnehmer, die angaben, bereits mindestens einmal stationär oder psychosomatisch behandelt worden zu sein, wurden in die Gruppe der „psychisch (Vor-)Erkrankten“ (n=44) aufgenommen. 55 Teilnehmer, bei denen dies nicht der Fall war, galten in diesem Sinne als „psychisch Gesunde“. Psychisch Kranke waren signifikant jünger (42,43 < 48,00), waren signifikant häufiger nicht erwerbstätig (43,2% > 18,2%) und nahmen signifikant häufiger professionelle Wohnunterstützung (20,5% > 1,8%) in Anspruch als die psychisch Gesunden.
Psychisch Kranke waren signifikant stärker psychisch belastet als psychisch Gesunde, die ihrerseits aber schon überdurchschnittlich belastet waren. Dies zeigte sich sowohl bei depressiven, bei typischen paranoiden Symptomen (z.B. Misstrauen) und auch bei unspezifischen Beschwerden (z.B. Schlafstörungen, Grübeln oder Langeweile). Im Gegensatz zu den psychisch Gesunden stieg die psychische Belastung bei psychisch Kranken mit zunehmender Dauer der Einschränkungen sogar an. Keine bzw. nur eine geringe Rolle spielte die persönliche Wohnsituation (z.B. ob die Teilnehmer über ein eigenes Zimmer als Rückzugsort verfügen konnten), die direkte Betroffenheit (etwa ob die Teilnehmer persönlich durch Quarantäne betroffen waren) oder der berufliche Status.
Menschen mit psychischen Erkrankungen scheinen demnach psychisch stärker auf die unmittelbaren Folgen der Corona-Krise zu reagieren. In den freiwilligen Angaben wurde die mangelnde Verfügbarkeit des sozialpsychiatrischen Hilfesystems beklagt. Allerdings berichteten einige Teilnehmer auch, dass sie diese aufgrund der Infektionsgefahr auch nicht wahrnehmen würden.
Welchen Einfluss hatte das Alltagsverhalten während des Lockdowns auf die psychische Belastung? Uns allen hat der Corona-Shutdown zahlreiche Anpassungen abverlangt, u.a. alternative Wege der Kontaktpflege zu finden, für Bewegung und Sport sorgen oder einfach eine Tagesstruktur aufrechtzuerhalten. All dies gelang Menschen mit psychischen Vorerkrankungen in signifkant geringerem Ausmaß. Immerhin 20% der stärkeren psychischen Belastung ließ sich auf die verringerte Anpassung des Alltagsverhaltens zurückführen.
Fazit: Auch und gerade in Zeichen der Krise benötigen Menschen mit psychischen Erkrankungen ambulante und stationäre Hilfen. Wie dieser Bedarf in Krisenzeiten aufgefangen werden sollte, dafür spielt auch die Frage, wie denn psychisch Vorerkrankten in ihrem Alltagsverhalten mit den Einschränkungen umgegangen sind, eine Rolle. Die ambulanten Hilfen sollten deshalb Menschen mit psychischen Vorerkrankungen auch gerade bei ihrer Alltagsgestaltung unterstützen.
Natürlich sind unsere Ergebnisse aufgrund der kleinen Stichprobe nicht repräsentativ. Sie bieten jedoch erste Erkenntnisse, die im Zusammenhang mit den Resultaten anderer Untersuchungen, hoffentlich ein stimmiges Bild ergeben werden, wie es Menschen mit psychischen Erkrankungen in Coronazeiten ergeht und wie eine darauf angepasste Notfallversorgung aussehen kann. Eines scheint jedoch sicher: Unsere Ergebnisse lassen keinen Zweifel an der Bedeutung der gegenwärtigen Versorgungsstrukturen zu – eher noch unterstreichen sie die Notwendigkeit, diese in Krisenzeiten nach den besonderen Bedürfnissen psychisch Kranker auszubauen, etwa durch Videofonie und Telefonie.
Die Ergebnisse der Online-Studie sind mittlerweile auch als Fachartikel in der Zeitschrift “Fortschritte der Neurologie – Psychiatrie” erschienen.