Die Soteria wird seit über fünfzig Jahren vornehmlich als milieutherapeutische Alternative zur Behandlung akuter Psychosen verstanden. Allerdings beschränken sich die heutigen Soterien schon lange nicht mehr auf die Begleitung durch akute Krisen. Vielmehr bieten sie eine kontinuierliche und umfassende Betreuung über oft viele Jahre an, etwa durch tagesklinische und ambulante Angebote, durch angegliederte Tagesstätten (wie in Bern) und vernetzte Angebote zur beruflichen Teilhabe (wie in Reichenau). Technisch ausgedrückt wird Soteria meist als „sektorenübergeifendes Versorgungsmodell“ gedacht und auch gelebt.
Als solches umgeht Soteria viele Probleme und Nebenwirkungen unseres konventionellen Behandlungssystems: Die gegenwärtige Behandlung ist streng nach Sektoren (stationär, teilstationär, ambulant), Kostenträgern (u.a. Krankenversicherung, Rentenversicherung) und nach Berufsgruppen getrennt. Aus diesem Grund hat ein Nutzender mit einer Vielzahl von Experti*nnen zu tun, die jeweils nur eine Spezialaufgabe, etwa Psychotherapie, Ergotherapie, Unterstützung beim Wohnen oder bei sozialen Angelegenheiten, übernehmen. Deshalb müssen Nutzende sich und ihr Anliegen einer Vielzahl von Menschen erklären, die den Nutzenden ihrerseits oft nur in Ausschnitten kennenlernen können und ihn zu immer neuen Expert*innen überweisen. Die „Therapie“ findet dann viel zu oft in sozial exkludierenden Behandlungskontexten statt, die aufgrund ihres z.T. als stigmatisierend erlebten Charakters nicht selten wenig akzeptabel für die Nutzenden sind. Dass diese – hier zugegeben überzeichnete – Praxis auch den gesündesten Psychosebetroffenen überfordert, bedarf keiner besonderen Erläuterung.
Die Praxis der Soteria bietet demgegenüber (i.d.R) jungen Menschen mit Psychosen eine kontinuierliche Unterstützung über die Phase ihrer psychosozialen Verselbständigung. Nutzende werden von Mitarbeitenden in der akuten Krise, bei der Stabilisierung, ambulant und auch bei alltagspraktischen, sozialen wie beruflichen Fragen unterstützt. Und das innerhalb des an konventioneller Normalität orientierten Milieus der Soteria oder innerhalb der Gemeinde. Gemeinsam werden Expert*innen aus verschiedenen Fachgebieten aufgesucht – das schafft Überblick, Beziehung und Vertrauen, was sich in akuten Krisen dann auszahlt. Es leuchtet ein, dass auf Basis dieser oft langjährigen Beziehungen die Gedanken des „Empowerments“ und „Recovery“ viel eher gelebt werden können als in konventionellen Strukturen und überdies auch viele Empfehlungen der evidenzbasierten Psychiatrie, etwa eine Niedrigdosisbehandlung und Einbezug der Angehörigen, umgesetzt werden können. Spezifische Behandlungen geschehen im Soteriakontext auf Basis einer funktionierenden Beziehung und eines angemessenen Milieus. Dies macht sie akzeptabler und vermutlich auch wirksamer.
Soteria ist in dieser Hinsicht auch ein Taktgeber und Beispiel dafür, wie eine Unterstützung von Psychosebtroffenen langfristig, umfassend, gemeindenah und dann auch nachhaltig umgesetzt werden.
Walter Gekle und Daniel Nischk haben diese konzeptuellen Gedanken über die Verortung der Soteria im Hilfesystem jüngst in einem Beitrag in den sozialpsychiatrischen Informationen (1/22) veröffentlicht.
Herzliche Grüße
Ihr Daniel Nischk