Soteria in Corona-Zeiten

Der weitgehende Shutdown des gesellschaftlichen Lebens im Zuge der Corona-Krise betrifft auch die psychiatrische Versorgung und damit auch die Soteria-Einrichtungen. Die Versorgungsangebote sind runtergefahren, teils durch die Kliniken, um Kapazitäten für Isolierstationen zu schaffen, teils auch, weil Patienten den Gang in die Klinik aus Sorge vor Ansteckung scheuen. Die Soterien sind da keine Ausnahme. Immerhin: Die Soterien in München-Haar, Bern, Berlin, Gangelt und Zwiefalten sind geöffnet und haben ihr Angebot entsprechend angepasst. So wird in Zwiefalten auf das gemeinsame Einkaufen verzichtet, in München werden Gruppenangebote mit Schutzmasken durchgeführt. Die Belegung ist allerorts heruntergefahren, um durch Einzelzimmer die Ansteckungsgefahr zu mindern. Die PatientInnen arbeiten prima mit und leisten – trotz z.T. akuter Psychose – ihren Beitrag zur Eindämmung der Pandemie. „Akute psychotische Zuspitzungen nehmen keine Rücksicht auf Pandemien“, sagt Walter Gekle, Leiter der Soteria Bern. „Wir tun weiterhin, was notwendig ist, um Menschen aus akuten Krisen zu begleiten.“ In Reichenau musste die Soteria kurzfristig geschlossen werden, um Ressourcen für andere Stationen bereit zu stellen. Die Patienten werden nun so gut es geht ambulant versorgt, z.T. auch per Videokonferenz. „Menschen mit Psychosen können mit Corona umgehen“, sagt Daniel Nischk aus Reichenau. „Jeder tut, was notwendig ist, auch wenn die Quarantäne viele Menschen einsam macht.“ Martin Voss von der Soteria Berlin: „Auch wenn die Corona-Krise manche Menschen mit Psychose extrem verunsichert, die meisten setzen die Schutzmaßnahmen konsequenter um als viele andere.“ In Krisen müssen sich alle anpassen, allerdings dürfen gerade die Hilfen für schwer Betroffene nicht auf der Strecke bleiben. Die Soteria-Iniative bleibt aktiv: die kommende Jahresversammlung der IAS hat Roswitha Hurtz, Vorsitzende der IAS, schon fest im Blick. Voraussichtlich im November wird in Berlin die IAS-Tagung als Kooperation der Soteria (ähnliche) Station in Hennigsdorf und Berlin stattfinden.

Luc Ciompi auf der DGPPN-Jahrestagung 2019

Anlässlich seines 90. Geburtstages trug Luc Ciompi seine persönliche Reflektionen zum Rätsel der Schizophrenie auf dem diesjährigen DGPPN-Kongress in Berlin vor – ohne Frage eine Highlight, dem mehrere Hundert Besucher im Saal sowie auf den Leinwänden im Außenbereich folgten. Seine Ausführungen waren ebenso persönlich, bewegend wie zukunftsweisend. Er schilderte seine persönliche und wissenschaftliche Annäherung zur „Sphinx“ der Schizophrenie: Dies beinhaltete u.a. die prägende Erfahrung mit der Erkrankung in seiner Familie, seine auf eigener Forschung beruhende Erkenntnis, dass die Schizophrenie häufiger als angenommen auch „heilen“ kann sowie die langjährige intensive Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse, der systemischen Therapie und auch antipsychiatrischen Ansätzen, die sich schließlich zu einem umfassenden Schizophrenie-Verständnis in Form seiner „Affektlogik“ verdichteten. Psychose entstehe bei vulnerablen Menschen als Folge eines unerträglichen Anstiegs der Affektspannung. Und Soteria sei der fundierte Versuch, diese durch milieutherapeutische Mittel zu reduzieren, was sich durch Forschung, klinische Erfahrung und auch aktuelle Forschung belegen lasse. Der Vorsitzende der Vortragsveranstaltung, Prof. Falkai, Lehrstuhlinhaber für Psychiatrie an der LMU München, nannte im Anschluss an den Vortrag Ciompi’s Wirken einen „Volltreffer der Translation“ und stellte besonders die erfolgreiche Übersetzung der Forschungsergebnisse in die therapeutische Praxis heraus. Bei der folgenden Diskussion, die sich v.a. um die Frage drehte, warum dennoch nicht mehr Soteria-Einrichtungen existieren, wurden v.a. die weiterhin unzureichende Datenlage, mit der eine Überlegenheit von Soteria gegenüber der herkömmlichen Klinikbehandlung nachgewiesen werden kann, sowie ökonomische und strukturelle Zwänge als Hinderungsgründe identifiziert. Dennoch endete die Veranstaltung mit einem vorsichtig optimistischen Ausblick und der von allen Beteiligten geäußerten Hoffnung, dass in nächster Zeit weitere Soteria-Einrichtungen initiiert werden. Insbesondere die Tatsache, dass nach der Charité in Berlin nun mit dem ZI Mannheim eine weitere Universitätsklinik eine Soteria eröffnet hat, wurde als positives Signal für die Zukunft der Soteria-Idee gewertet.

Nachlese der Jahrestagung in Bonn

Dr. Walter Gekle

Am 15.-16.11.2019 fand in den Rheinischen Kliniken Bonn die diesjährige Jahrestagung der IAS statt. Michael Schormann und sein Team berichteten ausführlich, wie die individuelle und intensive Betreuung der Patienten in der Soteria-Station die eigene Arbeit bereichert und sich auch positiv auf die Behandlungsqualität der gesamten Klinik auswirkt. Besonders interessant: Im Rahmen eines Modellprojektes werden stationäre und ambulante Behandlungselemente im Sinne langfristiger individuenzentrierter Unterstützung vernetzt – eine Chance und Herausforderung für die Soteria-Gemeinschaft hier an der Speerspitze einer zukunftsfähigen Psychiatrie zu stehen. Daran anknüpfend bot Dr. Walter Gekle, Leiter der Soteria in Bern, einen umfassenden Überblick, wie Soteria nicht nur in besonderer Weise auf die speziellen Einschränkungen und Bedürfnisse von Menschen mit akuten Psychosen eingeht, sondern auch ideale Möglichkeiten bietet, die aktuellen S3-Behandlungsleitlinien der Psychosebehandlung umzusetzen. Walter Gekle unterstrich besonders die Bedeutung der Stationen mit Soteria-Elementen: diese könnten wesentliche Multiplikatoren darstellen, die den Soteria-Gedanken stärker als bisher in der Fachöffentlichkeit verankern können. Zum Vortrag gelangen Sie hier.
Auf der öffentlichen Mitgliederversammlung der IAS am Samstag wurde Dr. Alexander Gogolkiewicz aus Zwiefalten einstimmig in den Vorstand der IAS gewählt. Dr. Gogolkiewicz, Chefarzt in Zwiefalten, möchte insbesondere die Öffentlichkeitsarbeit intensivieren. Es sei erschreckend, dass Soteria immer noch nicht allen Betroffenen, Angehörigen und Profis ein Begriff sei. Auch Martin Urban, der den Soteria-Gedanken innovativ in den Bereich der Eingliederungshilfe in seinem „Haus der Hoffnung“ implementiert hat, mahnte abschließend: Soteria sei nicht nur „wünschenswert“ – sondern klinische Notwendigkeit, weil Soteria angemessener mit den Besonderheiten der Erkrankung umgehe. Soteria soll und muss sich stärker in die aktuelle Debatte zur Zukunft der Psychiatrie einbringen, so Martin Urban. Das hat auch das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim, das international renommierteste deutsche Forschungsinstitut, erkannt: In den nächsten Tagen wird dort ebenfalls eine Soteria-Einheit in Betrieb genommen.

Für Interessierte stehen die Protokolle der Mitgliederversammlung und der Plenumsdiskussion hier zur Verfügung.